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  • AutorenbildMelek Yaprak

Tinder - Ein Selbstversuch

Aktualisiert: 16. März 2021

Kolumne - Die Digitalisierung der eigentlich schönsten Sache der Welt


Nach meinem Artikel „Wir können es uns leisten, Single zu sein“ haben mich viele Nachrichten erreicht. Hier sprach ich mich ausdrücklich gegen Online-Dating und die Nutzung von Plattformen wie Tinder, Minder u.s.w. aus.


Mich überraschte es, dass es in meinem Umfeld doch so viele Paare gab, die durch Online-Dating eine lange, glückliche Beziehung führen. Kann nicht sein, niemals. Ich bin der größte Tinder-Nazi mit Migrationsvordergrund. Schon allein das Wort „Online-Dating“ klingt so technisch, dass mir kalt wird. „Online“ wird im deutschen Duden als

"In direkter Verbindung mit der Datenverarbeitungsanlage arbeitend," definiert. Nix ist an dieser Expression sexy. Das Wort „Singlebörse“ macht mich noch weniger an: Handel mit Alleinstehenden.


Zu journalistischen Zwecken und als angehende Mikroautorin musste ich es also selber ausprobieren. Ich wurde ermutigt, darüber zu schreiben. Der schmuddelige Ruf des Online-Datings sollte ein wenig poliert werden. Und Polieren könne ich ja gut. Das wäre jetzt das moderne Dating und ich solle mich gefälligst anpassen und über moderne Sachen schreiben, sagen die Anderen.


Wie ein Lämmchen gehe ich also ohne irgendwelche Erwartungen an die Sache ran. Mit ein paar Klicks schwimme ich im Pool der Testosteron-Bomben aus ganz Deutschland, ach was in der ganzen Welt!

Wie?! So einfach?? Hier werden sie mir alle auf dem Tablett serviert und draußen traut sich keiner mehr sich gegenseitig in die Augen zu schauen geschweige denn ein freundliches Hallo von sich zu geben?! Da „draußen“ ist es so schwer geworden einen halbwegs anständigen Menschen zu daten und hier soll es auf einmal mit einem Klick gehen? Was ist nur los in dieser Welt… Ich klicke mich also wund. Nein, es heißt „swipen“, wischen. Wisch und weg falls Dir einer nicht gefällt, wisch und wow im gegensätzlichen Fall.


Man sieht ein Profilfoto, von dem man nicht weiß, ob es echt ist. Zudem sehen die Bilder der Männer größtenteils alles andere als begehrenswert aus. Entweder halten sie einen sabbernden Hund in die Kamera (auch im Bett - igitt) oder die sabbernde Ex-Freundin.

Selfies gehen gar nicht. Selfies sind die schlimmste Erfindung der Digitalisierung! Kein Mensch auf dieser Welt sieht auf einem Selfie gut aus! Karl Lagerfeld brachte es auf den Punkt: "Selfies sind eine elektronische Masturbation.“


Alle mit Selfies also: Aaaaaaabb! Ich hasse es jetzt schon.

Dann kommen die Männer mit Sonnenbrille: Weg! Traue keinem Mann mit Sonnenbrille. In Kroatien traf ich mal einen, der sah Hammer aus, überraschte mich später aber mit einem Glasauge.

Dann kommen die Männer im Einhornskostüm vom Kölner Karneval, oder Wannabe-Richis vor einem geliehenem Porsche, Männer mit freiem Oberkörper im Gym (auch ohne Muskeln) im Ganzkörper-Snowbaord oder Biker-Ausrüstung, wo man nichts, aber auch nichts von der Person erkennen kann. Alle Männer, die mehr als ein „Ö“, „Ü“ im Namen enthalten haben fallen durch sowieso durch meinen Filter.


„Königin in Vollzeit gesucht!“ Ja, das bin ich! Habe mich direkt angesprochen gefühlt. Endlich! Ein nett aussehender Mann mit einem tollen Namen: Ilario. Ilaaaariooooo… Hmm, ich lasse mir den Namen auf der Zunge zergehen. Bestimmt kommt er aus Griechenland. Wir reisen dann später gemeinsam durch den griechischen Sommer. In meiner Vorstellung ist alles schön. Obwohl er eigentlich vom Typ her überhaupt nicht den mir ansprechenden Schönheitsideal entspricht: Blond, blauäugig, schon eher eine skandinavische Ausstrahlung, eigentlich schon etwas zu kühl für mich. Aber er sieht normal aus. Like. Er liked zurück. It's a Match.


Date Nr. 1


Der Wolf im Schafspelz - Mann


Es kommt zu einem Treffen in einem kölner Cafe. Mein erstes Treffen, meine erste Erfahrung. Was für’n Scheiss, denke ich. Ein Wildfremder. Was machst Du hier? Ich haue meinen Kopf auf mein Handydisplay direkt auf die Tinder App in der Hoffnung sie löse sich auf.


Er kommt. Man kann ihn nicht übersehen, denn er ist von Kopf bis Fuss in Pelz gekleidet: Eine Kosakenmütze aus Silberfuchspelz auf dem Kopf, ein Mantel aus Nerz, gefütterte Stiefel mit roten herausstechenden Socken. Ich bin mir nicht ganz sicher… Eine Mischung aus sowjetischem Bösewicht und Instagram Russian Twist. Auf jeden Fall eine auffällige stilistische Erscheinung. „Challo, iich bien Ilario. Illario Aleksandrovitsch Zarutskiy. Ich kohmme aus Yakutsk. (Ich habe später nachgeschaut - Yakutsk ist die kälteste Stadt in Sibirien. Adieu Griechenland…) Egal, was er sagte, es klang wie eine Bedrohung. Wenn MIR das schon so vorkommt, dann heisst das was. Ich bin mit arabischer Sprache aufgewachsen. Da klingt: „Meine schöne Tochter, hast Du Hunger?“ wie ein auditiv schmerzliches Ultimatum: Friss oder stirb!


Die Bedienung kommt an den Tisch. Wenn der sich jetzt noch einen Wodka bestellt ist mein gedanklicher Klischeekatalog zu 100 % übereinstimmend. „Kamillientee, groß,“ sagt er. Ich schaue mich um. Erlaubt sich hier irgendjemand ein Spässchen mit mir? Vielleicht meine Auftraggeber oder meine Freunde, die mich so zu diesem Experiment gedrängt haben… Ich schaue mich wieder um, sehe aber nix auffälliges. „Wirst Du verfolgt???!!! fragt er und dreht sich ebenfalls energetisch um. Die kommunistischen geschichtlichen Erfahrungen scheinen hier tief zu sitzen… „Iich kann Dichh beschüetzen.“ Dieser harte russischen Akzent macht mich fertig. Wenn der nur annähernd wie er spricht Liebe macht, dann muss man im Schutzanzug ins Bett.. Ich komme mir vor wie ein Everlast Boxsack, der immer auf die Fresse kriegt. Ich bin kälteempfindlich, deswegen sage ich zu Ilario Aleksandrovitsch Zarutskiy ta léme, was auf Griechisch auf Wiedersehen heißt.


Turned out, dass Ilario ein sehr guter Freund von mir geworden ist. Immer da, immer hilfsbereit. Ich suche eine passende Partnerin für dieses sibirische Schmuckstück. Bitte bei mir mir melden.



Date Nr. 2


Wenn Düsseldorf ein Date mit Köln hat...


Ein durchaus attraktiver, sehr eloquenter Mann aus Düsseldorf. Online mit fünf aussagekräftigen Bildern (zum Glück kein einziges Selfie - alles richtig gemacht). Auf allen wird herzhaft gelacht. Man braucht nicht viel, um meine Aufmerksamkeit zu erlangen. Ein sympathisches, ehrliches Lächeln - das ist catchy. Es dauert nicht lange und wir treffen uns. Vorher hole ich mir aber eine Stimmprobe ab. Den Fehler wie bei Ilario mache ich nicht noch mal! Wir verabreden uns über eine Sprachnachricht. Bääähhmmmm! Seine Stimme! Hat mich umgehauen. So klar, so einladend, so sexy. Ich konnte mir sein verführerisches Lächeln vorstellen. Ein handsome serbisch-griechischer Mann (Da war er endlich - mein Grieche!) mit perfektem Deutsch und einer Stimme, die bei mir alle Knöpfe gedrückt hat.

Wir treffen uns. Das Setting hätte kaum widersprüchlicher zu ihm sein können. Ach, ich lache gerade herzhaft, während ich das schreibe :)

Mein guter Freund Jan lud mich zu einem Launch seines Start-Ups ein. Er vertreibt stylische Beanie-Mützen. Das Fotoshooting für die Website fand in einer Hanfbar statt. Es waren diverse Fashion-Models zugegen und das Shooting entwickelte sich zu einem kreativem Event. Was gibt es schöneres als dem Date zu zeigen, wer so seine Freunde sind?, dachte ich mir und bestellte meinen neuen Flirt dorthin. Wir setzten uns auf die selbstgebauten Paletten. Ja, es roch schon sehr stark nach Gras und ja es war halt eine unkonventionelle Kölner Location. Der Besitzer war auch zugegen. Ein Nonkonformist vor dem Herrn mit Dreads und Goldzähnen. Das ganze Gebiss.

Da saß mein Date nun gänzlich unbeeindruckt und im Gewusel von Hipstern, gepiercten Lesben und Drills. Und das passte so gar nicht zu ihm (Ich kriege bei der Vorstellung dieser Kontroversität gerade Bauschmerzen vor Lachen!) Meine Düsseldorfer Perle mit teurer Uhr und Schnösel-Rolli murmelte etwas von: „Ich komme mir vor wie in Berlin…“ und beobachtete leicht angewidert das publikumsreife Künstlertreiben. Ich sah ihn mir genauer an, wie er da thronte: Eine leicht arrogante herablassende Art, perfekt sitzende Frisur… Ich stellte mir vor, wie ich ihm liebevoll mein Glas Wasser über den Kopf schüttete und wild durch sein Haar fuhr, um die eitle Bombe platzen zu lassen.


Wir konnten kaum unterschiedlicher sein: Ich - ein buntes Einhorn mit türkisfarbenen Flügeln, immer ein paar Zentimeter über den Boden schwebend mit einer Musiknote als Krone trifft auf rational, analytischen Fuchs und dem Wort Excel-Tabelle auf der Brust tätowiert. Kann das gut gehen? Das werden wir wohl niemals erfahren. Dennoch: Dieser Mann ist bis heute ein sehr kostbarer Fund aus dem virtuellen Becken, den ich nicht missen will. Mit seiner großen Klappe manövrierte er sich direkt in mein Herz.



Date Nr. 3


Der Franzose


Ich bin kein großer Frankreich-Fan. Ich mag auch Paris nicht. Mich interessiert diese Stadt null, überhaupt geht mir die Sprache auf dem Sack, weil sie so schwer ist. Ich haaassseeeeee die Bilder von Heiratsanträgen vor dem Eiffelturm. Kitschääg!

Date Nr. 3 heisst Clovis. Ich dachte es wäre ein britischer Name. Woher soll ich denn wissen, dass das ein französischer Name ist? Auf den Fotos sah er null französisch aus! Wie sehen die denn eigentlich aus, die Franzosen?! Er hatte weder eine Baskenmütze auf, noch hatte er ein Baguette in der Hand. Wieder wurde ich in einen Hinterhalt gelockt. Wir treffen uns an der Eigelstein-Torburg zu einem Glühwein-To-Go. Er spricht Englisch und etwas Deutsch mit stark französischem Akzent. Zumindest spricht er Englisch, denke ich genervt. It turned out, dass das einer der witzigsten Dates war, die ich jemals hatte. Alles was er erzählte, war so wahnsinnig unterhaltsam und dann auch noch untermalt mit diesem Akzent. Aus hundred wurde „andrett", aber wurde zu „abööör.“ Die Franzosen legen bei zweisilbigen Wörtern gerne die Betonung auf die hintere Silbe. Z.B. wird aus Fehler "Fehl-ÖRRR", Karte" wird zu „Kach-TÖ".


Aus "Hallo, ich heiße Clovis und ich wohne in Köln" wird zu "Al-LO (Betonung auf 2. Silbe) isch 'eiß-ö Clovi. Isch wohn-Ö in Köln-Ö .“:)


Bei der Frage nach seinem Beruf druckste er so merkwürdig rum. Das erschien mir suspekt. Er rückt langsam raus mit der Sprache: Er sei professioneller Pokerspieler, spielt Online bereits in einer hohen Liga um vieelll Geld. Aha. Ich bin gänzlich unbeindruckt. Noch das Geld weder sein charmanter französchischer Akzent machen mich an.


Der weitere Verlauf des Abends unter der Eigelstein-Torburg mit Clöövi: Ich habe mich köstlich amüsiert und auch viel darüber gelernt, was Franzosen über die Deutschen denken.

Die Franzosen sind sehr stolz und achten auf ihren guten Stil. Auch wenn es regnet. Die praktische Kleidung der Deutschen: „Oh mon Dieu…,“ pfeifft Clovis. „Inconcevable!“ „Und diese Wein-schörle!? Barbarisch!“

Ich liebe es! Es ist großartig! Ich mag internationalen Ausstausch! Ich liebe Diversität! Davon lebe ich! Darüber schreibe ich! Danke Tinder!


Hier meine Bilanz:


Es ist für jeden etwas dabei.

Nichts für mich, aber wenn man sich nur verlustigen möchte, kommt es sicherlich schnell zu einer Übereinkunft. (Date 3 war so einer).


Wer etwas Ernstes sucht, kann sicherlich auch hier fündig werden (Date 1 war so einer). JEDOCH muss man ganz schön viel Arbeit reinstecken, damit was Gutes rauskommt. Seid euch darüber bewusst, dass der Gegenüber auf eine Antwort wartet. Wenn ihr schnell genervt seid vom Schreiben, dann ist das nichts für Euch.


Date 2… Bin ich bis heute nicht draus schlau geworden. Zu viele Fragen offen, die nie beantwortet wurden.


Welche Fragen man sich allerdings selber VOR dem Datingprozess beantworten sollte: Was will ich? Eine ernsthafte Beziehung? Oder nur mal schnell einen anderen Menschen konsumieren, kauen und dann wieder ausspucken? Wie sind Eure Erfahrungen? Wer möchte mir darüber berichten? Meldet Euch gerne.


„Die Welt ist voller einsamer Menschen, die warten, dass der andere den ersten Schritt macht.“ Lars Amend.




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