Melek Yaprak
Sind Sie auch ein Geringverdienerkind?
Über ungepflegte Unterhaltungen in einer pseudo gepflegten Gesellschaft
„Sind Sie auch ein Geringverdienerkind?“, fragte man mich tatsächlich neulich auf einer Eröffnung eines Sterne Restaurants in Köln.
Es war ein lauer Oktober Abend. Ich war gerade zurück von einem längeren Auslandsaufenthalt, voller guter Laune und braun gebrannter Haut. Ich feierte zwischen auserwählten Gästen wie Ärzte, Anwälte, Vorstände und was da oben noch so alles an Fett schwamm an Kölner Klüngel. Die Stimmung war ausgelassen, der Wein floss, die Live-Band musizierte. In einer kleinen Runde erzählten alle über ihre 7 - stelligen Kontostände. Ich über meine bescheiden bereisten 26 Länder. Zwischen den eher etwas spießigen Herr- und Damenschaften fiel ich also extrem auf. Nicht nur wegen der offenbar südländischen Optik sondern auch wegen meines Werdegangs. Welchen Beruf ich denn ausüben würde und überhaupt würde man mir ja mein Alter überhaupt nicht ansehen. (Ja das stimmt.)
„Sind Sie auch ein Geringverdienerkind?“, fragte mich in einem ziemlich herablassenden Ton der ältere Schnösel, der mir sowieso schon die ganze Zeit auf den Sack ging. Er war mir ein Dorn im Auge, weil er sich beim Vorbeigehen gerne an Frauen drückte und die ein oder andere anrüchige Bemerkung von sich gab. Vorher hatte er noch einen Witz über eine blonde Frau gemacht, die offensichtlich einen zu kurzen Rock trug, auf den High Heels die Treppenstufe nicht richtig einschätzen konnte und ihre Balance verlor.
„Die legt sich sogar selbst flach,“ schoss er raus.
Jetzt also die Konfrontation in mitten der Kölner Pseudo-Elite:
„Was genau meinen Sie mit Geringverdienerkind?“ fragte ich und versuchte mir meine Entgeisterung nicht anmerken zu lassen.
„Gehören Sie zu der Generation, dessen Eltern als Fabrikarbeiter nach Deutschland gekommen ist?“ fragt er doch tatsächlich frech weiter und stellt sein Weinglas auf seinem korpulenten Bierbauch ab.
Schmerzlich. Mir schiessen Bilder durch den Kopf: Meine Eltern, wie sie ganz jung nach Deutschland kamen und noch nie zuvor Schnee gesehen hatten. Meine Mutter wie sie zwei Jobs hatte. Mein Vater, wie er anfangs erfolgreich als Radiomechaniker arbeite, dann aber mit Einzug der Digitalisierung völlig den Anschluss verlor.
Diese Spitzratte, die so ähnlich aussah wie Jason Alexander

bekannt aus Seinfeld oder dem ekligen Philip aus Pretty Woman: Klein und rund. Er teilte weiterhin seine Verwunderung darüber, dass ich als Kind sogenannter Fabrikarbeiter beruflich doch schon sehr erfolgreich und sehr weltgewandt sei. Er hätte sich gefragt, ob meine Attraktivität seinen Teil dazu beigetragen hat. Yap. Ihr lest genau richtig. Ich habe auch erst gedacht, ich hör net ganz richtig.
Es gab jetzt zwei Möglichkeiten:
Möglichkeit 1: Ihn wie ein Esel stehen zulassen.
Möglichkeit 2: Kontern. Gezielt und elegant. Aber mir war nicht nach einer soziokulturell angelegten Debatte. Wahrscheinlich weiß sein Erbsenhirn noch nicht mal, wo dieses Determinativkompositum seinen Ursprung hat. Ich mag Esel, deswegen entschied ich mich für Nummer 2. Ich nahm tief Lust äh Luft:
„Womit verdienen Sie noch mal Ihr Geld?“ fragte ich ihn.
Inzwischen war es still geworden in der Gruppe und alle hörten gespannt zu.
„Ich bin Privatier, ich brauche nicht mehr arbeiten.“ Seine Mundwinkel formen sich zu einem dreckigen Lächeln.
"Ohne Fabrikarbeiter - so wie Sie sie nennen, würden keine Autos zusammengeschweisst werden und Sie könnten ihren dicken Wanzt nicht in ihrer Karre spazieren fahren. Dann müssten Sie ja laufen, das können Sie ja keine zwei Meter habe ich beobachtet. Oder Sie würden Ihre Viagras in Paketen nicht geliefert bekommen. Des Weiteren vermute ich die Reinigungskraft, die Ihren Dreck weg macht arbeitet für den Mindestlohn.“
Er wollte etwas sagen, aber ich nahm erst so richtig Fahrt auf, denn ich wollte die frauenfeindlichen patriarchalischen Andeutungen nicht auf mir sitzen lassen:
„Ich sehe an ihrem jämmerlichen Ring, dass Sie verheiratet sind? Das heisst aber noch nicht lange nicht, dass Sie Sex haben. Selbst eine treue Frau meidet einen Mann dessen, Hoden so tief hängen, dass sie am Boden den Staub wischen, wenn er seine whitey pants auszieht. Deswegen laufen Sie hier auch rum wie ein räudiger Hund, in der Hoffnung etwas aufreissen zu können. Abgesehen von Ihrer Respektlosigkeit: Frauen stehen auf große Männer die weit über die Tischkante gucken können. Und das können Sie selbst auf ihren fetten Zehenspitzen nicht.“
Selbst in pseudo gepflegten Gesellschaften gibt es noch ungepflegte Gespräche. Was ist nur los mit den Menschen?
Lest als nächstes: Die kleine Melek, die zu dick für die Katze war