Melek Yaprak
Meine Begegnung mit Friedrich
Aktualisiert: 28. Jan. 2021
Was uns bewegt - Geschichten aus dem Leben und Meer
Kolumne Melek Yaprak
Kürzlich beim REWE:
Ich haaaassssseeeee den an der Agneskirche. Aufgebaut wie ein Labyrinth, man irrt ständig rum, alles ist so eng, überhaupt eine völlige Fehlkonstruktion, weil verdammt noch mal die Einkaufswagen NICHT DURCH DIE ENGEN Gänge passen! Mann, Köln - Du hast es echt nicht drauf! Du machst 'nen Basketballcourt mit Stein-Teergemischboden, der sogar jeden Spalding bumst UND um den Court herum weit und breit Sandboden. Und wenn es zuvor geregnet hat?! Jedes Mal, wenn der Ball außerhalb des Courts im Schlamm auftitscht ist er NASS und matschig.
Oder Köln: Du baust die Bahnhaltestelle "Lindenburg" so hoch, dass beim Austieg einem Rollstuhlfahrer nur schlecht werden kann. Wie in Istanbul, wenn auf einmal an einer vielbefahrenen Hauptstraße der hohe Bürgersteig aufhört.
Mein nächstes selbstgemachtes Karnevalskostüm wird heißen: Barrierefreiheit.
Also, kürzlich beim REWE: Ich irre orientierungslos durch die Gänge. Schnell raus hier, schnell raus hier, sonst bringe ich gleich jemanden um... Aber ich brauche noch dringend meinen Maille Depuis 1747 Digon Original Premium Senf und meine
Erbsenproteinmilch BARISTA extra schaumig für meinen frisch gemahlenen Arabica Kaffee morgens. Das gibt es nur hier.
Endlich habe ich es an die Kasse geschafft. Die haben die Übergänge zu den Kassen so absurd mit einem rot-weißen Band abgesperrt. Ich stelle mich grundsätzlich immer an die falsche Kasse an. An die mit den langsamsten Menschen. Vor mir ein älterer Herr.
Frau Pavlović sitzt hinter der Kasse - Mitarbeiterin des Monats - und motzt mich an: "Würden Sie bitte Abstand halten zu Ihrem Vordermann?!" Ich verdrehe die Augen, denn zwischen mir und meinem Vordermann ist so viel Platz, da passt ein türkischer überbeladener LKW durch.
Keine andere Kasse ist besetzt. Mein Vordereinkäufer braucht eeewig bis er bezahlt und noch ewiger liegt sein Einkauf in der Ablage. Man darf ja nicht über diese imaginäre Grenze, also muss ich warten.
Diese Maske im Gesicht, ich habe hunger, Wäsche ist in der Maschine, meine Mutter ruft ständig an, weil sie zum 25 Mal wissen will, wie man eine Email verschickt... Der Allltag ist manchmal so herausfordernd.... Ich atme tief ein und aus. Mein Vordermann braucht so verdächtig lange... Frau Pavlović - Kassiererin und Mitarbeiterin des Monats - sagt nix und ich traue mich nicht zu gucken, was mit dem Mann los ist. Mittlerweile hat sich eine ewig lange Schlange hinter mir gebildet. Eine lange Minute vergeht.... Ich gehe ein Stück vor und erkenne, dass der Mann kaum Luft bekommt! Hinter der großen Maske nur seine Augen erkennbar...
"Entschuldigung", sagt er, "ich kriege kaum Luft. Ich komme mit diesen neuen Masken nicht zurecht", rechtfertigt er sich zitternd. Unter seiner Jacke blitzt ein Beatmungsgerät mit einem Schlauch auf, der in direkt in seine Nase führt. Er sieht nicht gut aus.
"Das glaube ich Ihnen auf's Wort", sage ich ermunternd. "Geht mir genauso. Kein Problem, lassen Sie sich Zeit."
Frau Pavlović - Kassiererin und Mitarbeiterin des Monats - sagt immer noch nix.
"Äh, wie wär's mit einem Krankenwagen?", frage ich.
"Nein, nein", sagt der Mann. "Könnten Sie mir bitte helfen, die Sachen in meinen Rolllator zu packen, damit es schneller geht?".
Frau Pavlović - Kassiererin und Mitarbeiterin des Monats - sitzt immernoch unberührt hinter der Kassenscheibe. Eigentlich müsste sie Frau Sibirien-ovic heißen. So wie das alles an ihr abprallt...
Ich tue die Sachen in sein Netz am Wagen. Zwei kleine Bierfässer und zwei Flaschen Rotwein. Ich schaue ihn mir genauer an. Edle Kleidung, einen Schal aus Merinowolle, eine teure Uhr, eine außergewöhnliche Brille... Ein durchaus gepflegter Mann mit grauen langen Haaren in einer bretonischen Kaban-Jacke, seine Kalbsleder-Schuhe so poliert, dass man sich drin spiegeln kann. Nur leider gesundheitlich sehr angeschlagen...
"Trinken Sie das gemeinsam mit Ihrer Frau?" frage ich schelmisch mit einem Augenzwinkern, deute auf die zwei Weine hin und versuche witzig zu sein.
"Meine Frau ist tot", sagt er.
Mann, Melek, halt doch einmal die Fresse!
"Entschuldigung."
Wir entfernen uns von der Kasse. Der arme Mann kann noch immer nicht so richtig atmen und wird ganz rot im Gesicht.
"Kommen Sie", sage ich, "lassen Sie uns rausgehen an die frische Luft."
"Dieses verdammte Sauerstoffgerät..." schimpft er. "Ich bin 69 Jahre.
"Ich war Sportler und Professor an der Uni Köln. Seit meine Eleni gestorben ist bin ich kaputt. 49 Jahre waren waren wir verheiratet... Sie fehlt mir so."
Schweigen. Wir laufen nebeneinander.
"Sind Sie verheiratet?" fragt er mich.
"Nein."
"Warum nicht?"
"Ich habe statt Männer Länder geheiratet. Bin um die Welt gereist."
"Was für'n Scheiß", sagt er, "jeder braucht einen Menschen in seinem Leben."
Ich werde das Gefühl nicht los, dass Großmutter Nouri ihn heimlich auf mich gehetzt hat. Ich habe es wirklich nicht leicht als nonkonformistische, türkisch-deutsche, selbstständige, visionäristische Frau. Noch nicht einmal ein deutscher Friedrich kann meinen Freiheitsdrang verstehen.
"Friedrich", stellt er sich vor und hält mir lässig seinen Ellenbogen hin.
"Melek", sage ich mache einen Ellenbogen-Knöchel-Tschak, den er nicht lustig findet.
"Was heißt Meleckkk?"
"Engel."
Er schaut mich lange an. "Weißt Du wo ich im Veedel frischen Fisch und glatte Petersilie bekommen kann?" fragt er mich.
"Klar! Fisch beim Griechen Ares und seiner Frau Eleftheria und glatte Petersilie bei Bruder Mehmet im Ankara Market auf der Weidengasse!" sage ich stolz, weil das alles meine Homies sind.
Friedrich muss plötzlich lachen. Er hustet stark. Fast bleibt ihm die Luft weg. Ich wedel hilflos mit meinen Händen vor seinen Gesicht auf und ab, als hätte ich eine heiße Kartoffel in der Hand.
"Du bist wirklich ein Engel, Melek. Danke."
Dann geht er.
Wie? Unsere Love-Story schon Ende?.... Er schleicht weg mit seinem Rollator. Ich hatte doch noch so viel Fragen als Selfmade-Journalistin und Mikro-Autorin.
Professor für was? Welche Art von Sport? Wie geht es Ihnen wirklich? Was wollen Sie mit dem Fisch und der Petersilie kochen?! Meine Neugier ist immer so tief wie der Ozean. Ich bin mir sicher, wir werden uns wieder auf einer Welle treffen und meine Fragen werden beantwortet.
Normalerweise fotografiere ich die Menschen, die es in meinen Blog schaffen immer. Aber Friedrich hätte das bestimmt nicht gewollt. Deshalb habe ich ihn gemalt.
Das ist er:
