Melek Yaprak
Die Frau mit den vielen kleinen geflochtenen Zöpfen, die ist Ausländerin
Aktualisiert: 4. Apr. 2022
Situationen aus dem wieder normalen Leben - Nichts hat sich verändert, alles ist anders
und warum ich immer die Stimme von Madame Moneypenny im Ohr habe

Genau aus diesem Grund hatte ich damals angefangen, Kolumnen zu schreiben: Geschichten aus dem Alltag festzuhalten. Entschleunigung zu kreieren. In Klischees zu baden.
Heute ist Sonntag im April 2022. Es gibt endlich wieder einen Flohmarkt an der alten Feuerwache in Köln. Mein Lieblingsflohmarkt, weil die alte Feuerwache mich an das Jugendhaus in Delmenhorst erinnert, wo ich als Teen immer abhing. Hätte es dieses Jugendhaus nicht gegeben, wäre ich wahrscheinlich kriminell geworden. Sozialkulturelle
Einrichtungen sind wichtig für jede Stadt.
Auf der Zielgeraden laufe ich auf die Stände zu. Flohmarktgänger kennen das Dilemma: Nichts Überflüssiges kaufen!
Ich habe ein Budget von 15 Euro. Mehr darf ich nicht ausgeben. Ich habe immer die Stimme meiner Mentorin Natascha Wegelin in meinem Ohr: „Frage Dich nicht: Was brauche ich? Wenn Du etwas bräuchtest, dann wüsstest Du es! Geld, was Du für Dinge ausgibst, die Du nicht brauchst, kann Du nicht investieren!“
Off ya aman. Ist ja gut!! Ich führe ja schon fast eine Beziehung mit meinem Neo Broker Trade Republic. Aber ich habe nun mal eine Schwäche für Flohmärkte. Auf meiner Liste: Ein geflochtener Pflanzenübertopf und goldene Ministeckohrringe.
Die Atmosphäre ist schön, aber auch irgendwie surreal. Darf man jetzt wieder alles? Sich frei bewegen, ohne Maske? So viele Menschen auf einem Haufen habe ich schon lange nicht getroffen. Unweigerlich bekommt da Gesprächsfetzen mit. Diese habe ich so gefeiert, dass ich sie mit Euch teilen will.
An einem Stand ist auffällig viel los. Mädels schieben sich gegenseitig zur Seite und wühlen in bunten Kleidungsstücken. Wirklich schöne Dinge gibt es und ich werde sofort fündig und habe beide Arme voll mit Klamotten. Mist, das stand nicht auf meiner Liste…. Ich kämpfe noch mit mir und schaue mir folgendes Unterfangen dabei an: Die Verkäuferin ist bunt gekleidet, sehr stylisch und kommt mit dem Verkaufen gar nicht mehr hinterher. Neben ihr ein Mann, der immer wieder Naschschub aus den Kartons holt.
„Wie heisst Du?“ fragt eine Kundin die Standfrau.
„Elif.“
„AAAAAAAAAHHHH, bist Du Türkin? Ich heiße Melissa!“
„Nein, bin ich nicht.“
„Aber Dein Name!“
„Ja, aber ich spreche kein Türkisch.“
„Macht nichts, aber Selam verstehst Du, oder?“
„Nein.“
„Selam heisst Hallo.“
„Ja, aber ich verstehe es trotzdem nicht, weil ich meine türkischen Eltern nicht kennengelernt habe. Ich bin bei Deutschen aufgewachsen.“
„Ohh…“, leichter Anflug von Mitleid, so scheint mir.
„Und wer ist das?!“ fragt die neugierige Kundin weiter.
„Das ist mein Mann.“
„Ist der Türke?!“
„Nein, er ist Deutsch.“
„Spricht er Türkisch?!“
„Nein, er ist voll der Alman. Er holt sogar meine Bananenschale aus dem Plastikmüll.“
Ich schaue den Alman an. Er hängt schweigend weiter Klamotten auf, als ob man nicht über ihn sprechen würde.
Ich habe lange überlegt, ob dieser Dialog jetzt cool war oder nicht. Wie oft muss es Elif wohl gehört haben, dass sie ja einen türkischen Namen hat. Ob es ihr wehtut, dass sie kein Türkisch spricht? Und die Melissas dieser Welt denken auch, nur weil die gegenüber einen türkischen Namen hat, gleich mit ihr verwandt zu sein.
Mein Abenteuer auf dem Flohmarkt dauert nur eine Stunde aber, was ich erlebe ist so viel wie für ein ganzes Leben.
Ich habe ein bunt-türkises Outfit an. Es kommt eine ältere Frau auf mich zu. Ca. 75 Jahre bei bester Gesundheit, fast zwei Meter lang, elegant und offensichtlich in Chanel gekleidet. Es stellen sich mir zwei Fragen: Was macht eine Frau im Designermantel auf dem Flohmarkt und was möchte sie wohl von mir?
„Sie sehen aber toll aus!“ sagt sie.
Bevor ich mich geschmeichelt fühle setzt sie fort: „Sie müssen unbedingt zu dem Stand da hinten. Der passt zu Ihnen. Die Frau verkauft sehr kuriose Sachen. Sie hat viele kleine Zöpfe. Eine Ausländerin.“
Mir bleibt nichts anderes übrig als verlegen zu lächeln. Alle um uns herum haben das mitbekommen. Auch die Hipster Mädels vom Hipster Stand, die mich angucken was ich wohl antworte.
„Sie haben aber auch das passende Accessoire mit.“ Ich deute mit meinem Kopf auf den fast 90-jährigen schick gekleideten Mann neben ihr, der jeden Moment verloren gehen könnte.
„Ist nur mein Ehemann,“ sagt sie und winkt ab. „Gehen Sie zum Stand.“ Sie schiebt mich.
„Na dann gehe ich mal.“
In meinem Gedanken: Da wo ich hingehöre? Meint die das?
Oder war das ein Kompliment? Oder wollte sie Paradiesvogel sagen und es ist ihr nicht eingefallen. Vielleicht kennt sie das Wort Kosmopolitin nicht. Schließlich ist Banü Bünt nicht Paula Perla.
Ich habe das Wort "Ausländerin" schon lange nicht gehört. Ich konnte ihr auch nicht böse sein, irgenwie war sie mit ihren über 70 charmant.
Und für meine Mädels, die mich fragen: Was hast Du gekauuuuuffftttt??? Hier die Auflösung:
Neuer Weekday Pulli 8 Euro
Pinke Mütze von Opus 2 Euro
Zara Kleid mit Perlen 2 Euro (Fehlkauf - Ich bin keine Perlen, möchte es jemand haben?)
Vier mal original deutsches Garn der Firma MEZ Kolibri, Qualitätsprodukt! Wird so gar nicht mehr hergestellt. Habe ich mich riesig drüber gefreut! 1 Euro
Goldene Ohrstecker 3 Euro


Gesamt 15 Euro. YES ! Ich bin nicht über mein Madame Moneypenny Budget drüber gegangen.
Ich finde meine Kolumnen ohne Fotos von den Geschehnissen meistens doof, aber ich darf die Leute ja nicht einfach fotografieren, die diese Kultsätze von sich geben.
Deswegen habe ich sie versucht zu malen.
Es grüßt Euch, Eure Melek
